Frankfurt. Hoch konzentriert entnimmt Professor Amadeus Hornemann seiner Patientin durch einen minimalen Schnitt in der Kniekehle den Teil einer Oberschenkelsehne. Dies scheint etwas außergewöhnlich – denn Hornemann ist Gynäkologe am DGD Krankenhaus Sachsenhausen. Doch bedeutet diese Sehne, die nur wenige Minuten später fertig präpariert auf dem OP-Tisch liegt, für Tausende Frauen neue Hoffnung auf ein unbeschwertes Leben. Denn der Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe des Krankenhauses in Sachsenhausen hat eine revolutionäre neue Operationsmethode gegen die Gebärmuttersenkung entwickelt: Statt der in Verruf geratenen Kunststoffnetze, die normalerweise eingesetzt werden, setzt der Gynäkologe auf eine körpereigene Sehne.
Eine solche Gebärmuttersenkung erleidet rund jede zweite Frau im Laufe ihres Lebens. „Normalerweise hält der Beckenboden die Gebärmutter, die Blase und den Darm in ihrer Position – wie eine straffe Hängematte“, erläutert Hornemann. „Wird diese Halterung geschwächt, etwa durch eine erblich bedingte Bindegewebsschwäche, vaginale Geburten oder häufiges schweres Heben, können die Organe absinken.“ Im schlimmsten Fall können sie auch durch die Scheide austreten – so geschehen bei Heike Stockmann, deren Geschichte zahlreichen Frauen im vergangenen Jahr Mut machte. Die sportlich aktive Mutter von zwei Kindern hob bei einem Umzug eine schwere Kiste an – „dabei muss in meiner Gebärmutter etwas gerissen sein. Vier Wochen später hing dort etwas zwischen den Beinen, das da nicht hingehört, von einer Größe zwischen einem Tischtennisball und einem Tennisball“, sagt sie. Die Diagnose ihrer Frauenärztin: Deszensus uteri, zu Deutsch: Gebärmuttersenkung, im fortgeschrittenen Stadium 2.
Das sonst verwendete Netz ist immer ein Fremdkörper
In der Regel wird eine solche Senkung mit einem Kunststoffnetz behoben: Jährlich werden hierzulande etwa 20 000 solcher Netze bei Frauen mit Gebärmuttersenkung implantiert. „Doch bei einem solchen Netz handelt es sich immer um einen Fremdkörper, der auch zu Unverträglichkeiten führen kann“, sagt Hornemann. Das Problem: Das umliegende Gewebe wächst schnell in das Netz ein und das Netz lässt sich bei Problemen schon kurze Zeit nach der Operation nicht mehr rückstandsfrei entfernen. In den USA haben deshalb inzwischen mehr als 100 000 Frauen Klage gegen einige Hersteller eingereicht, da sie mit chronischen Schmerzen, Infektionen oder Blutungen zu kämpfen hatten. Die Folge: Die Netze sind in den USA und in Australien inzwischen weitgehend vom Markt verschwunden bzw. sogar verboten.
Doch für Professor Hornemann war es keine Option, von Gebärmuttersenkung betroffenen Frauen keine Hilfe mehr anbieten zu können. Als er 2018 einem Unfallchirurgen bei einer Knie-OP zusah, kam dem Gynäkologen die zündende Idee. Denn der Unfallchirurg entnahm seinem Patienten eine Oberschenkelsehne, die künftig das Knie stabilisieren sollte. „Als die Sehne auf dem OP-Tisch lag, hatte ich die Idee, dieses Gewebe bei einer Gebärmuttersenkung zu verwenden und damit die umstrittenen Kunststoffnetze zu ersetzen.“ Die Vorteile lagen für Hornemann auf der Hand: Das körpereigene Gewebe wird nicht abgestoßen, ohnehin wird die entnommene Sehne im Oberschenkel nur wenig benötigt. Und: „Sie regeneriert sich binnen zwei Jahren vollständig, wächst wieder nach.“
Die Idee der neuen Operationsmethode war geboren – der innovative Mediziner machte sich an die Planung, wenige Monate später gab auch die Ethikkommission grünes Licht. Und im Oktober 2018 setzte Hornemann erstmals bei einer Patientin die körpereigene Sehne anstelle eines Kunststoffnetzes ein. „Die 68-jährige Frau war im Vorgespräch begeistert davon, dass sie ohne Netz operiert werden konnte“, erinnert sich der Gynäkologe.
Schon weit mehr als 200 Frauen operiert
Seither wurden weit mehr als 200 Frauen mit dem neuen Verfahren operiert. Zudem hat Professor Amadeus Hornemann seine Operationsmethode weiter verfeinert. „Nach mehreren Operationen hat sich gezeigt, dass die halbe Breite der Sehne ausreicht.“ Im Oberschenkel wurde zudem sichtbar, dass die verbliebene Sehnenhälfte die Sehnenfunktion zuverlässig weiter aufrechterhält. „Auch, wenn die Beschwerden nach Entfernung der kompletten Sehne ohnehin gering sind, können sie dadurch noch weiter reduziert werden“, verdeutlicht Hornemann.
Die Operation insgesamt dauert keine zwei Stunden, „in der Regel können die Frauen nach zwei bis drei Tagen die Klinik wieder verlassen“, verdeutlicht der Gynäkologe. Sport – beispielsweise Joggen – sei bereits nach wenigen Wochen wieder möglich.
Das war auch bei Heike Stockmann so: Nach sechs Wochen fühlte sie sich wieder komplett hergestellt und kann seither ihr aktives Leben wieder in vollen Zügen genießen. „Ich fühle mich wieder so wie früher, habe keine Schmerzen, auch nicht in der Kniekehle. Das ist eine ganz andere Lebensqualität“, sagt sie. Und macht Frauen Mut zur neuen Operationsmethode: „Weder muss Frau heute noch mit einem Würfel in der Vagina – also einem Pessar – noch mit einem Kunststoffnetz herumlaufen. Das geht auch auf natürliche Art und Weise.“
Das sieht auch Professor Amadeus Hornemann so: „Die Kunststoffnetze werden mit der Zeit verschwinden“, ist er sich sicher. Die Sicherheit seines neuen Verfahrens zur Fixierung der Gebärmutter mit einer körpereigenen Sehne „ist bewiesen. Daher erwarte ich, dass dieses Verfahren in der Deszensuschirurgie der Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird“. Die Nachfrage von Patientinnen sei immens hoch.
Nun wird die „Hornemann Tendon Transplantation (HoTT®)“ auch in Österreich realisiert: Professor Peter Widschwendter, Ärztlicher Leiter der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe am Landeskrankenhaus Hall in Tirol, setzt auf die neue OP-Methode. „Obwohl wir erst kürzlich gestartet haben, konnten wir bereits mehr als zehn Patientinnen mit dieser neuen Methode sehr erfolgreich behandeln“, erläutert der Professor.
Erlernt hat er das Verfahren bei Erfinder Hornemann. „Die Durchführung erfordert deutlich mehr Geschick als für Standardeingriffe. Daher wird es zukünftig mehrtätige Hospitationsveranstaltungen geben, bei denen das Verfahren gelernt werden kann“, erläutert der Gynäkologe des DGD Krankenhauses Sachsenhausen. „Alle bisherigen Operateure waren in Frankfurt und haben das Verfahren von mir gelernt“, verdeutlicht er – denn auch an weiteren Standorten in Deutschland fasst „HoTT®“ mittlerweile Fuß. Für Professor Amadeus Hornemann ist der Einsatz in Österreich der nächste Schritt. „Es ist eine große Freude, dass sich das Verfahren auch international durchsetzen wird. Ich hoffe, dass es langfristig weltweit die Kunststoffnetze im Genitalbereich verdrängt.“
Weitere Infos und Kontakt: Gynäkologie im DGD Krankenhaus Sachsenhausen