Heike Stockmann und Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann, MPH vor dem DGD-Krankenhaus Sachsenhausen. Foto: DGD-Krankenhaus Sachsenhausen/Bostelmann
Frankfurt / Wallau. Ein warmer Montagnachmittag im September 2020: Heike Stockmann aus Wallau bei Hofheim am Taunus steht vor dem DGD-Krankenhaus Sachsenhausen, dem bekannten Stadtteilkrankenhaus im Herzen der Mainmetropole. Mit einem mulmigen Gefühl ist die 51-jährige heute angereist. Denn: ein langer Leidensweg liegt hinter ihr. Heike Stockmann gehört zu der Hälfte der Frauen, die im Laufe ihres Lebens an Senkungsbeschwerden des Beckenbodens leiden. Heute möchte sie sich über ein weltweit neues OP-Verfahren informieren, das ihre Gebärmuttersenkung mit körpereigenem Gewebe behandeln könnte. So neu ist die Methode, dass Heike Stockmann neben großer Hoffnung auch einige Vorbehalte mitbringt. Über die bisher verwendeten Kunststoffnetze hatte sie allerdings so viele negative Berichte betroffener Frauen gelesen, dass sie diese unbedingt vermeiden wollte. Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann, seit Juni 2020 Chefarzt der Klinik für Operative Gynäkologie und Entwickler des Verfahrens, hat sich heute viel Zeit genommen, um Frau Stockmann zu beraten und aufzuklären.
„Da hing etwas, das da nicht hingehört“
Rückblende: Tempo, Bewegung und Energie bestimmen Heike Stockmanns Leben. Die zweifache Mutter geht mehrfach die Woche „Nordic Walken“, hat zwei Hunde und Pferde – und führt ganz nebenbei noch zwei Kosmetikstudios. Bis zum Juni 2020: Bei einem privaten Umzug hebt sie eine schwere Kiste. Da passiert es: „Dabei muss in meiner Gebärmutter etwas gerissen sein. Vier Wochen später hing dort etwas zwischen den Beinen, das da nicht hingehört, von einer Größe zwischen einem Tischtennisball und einem Tennisball.“ Erstmals im Leben muss Heike Stockmann erfahren, was es heißt, radikal auf die Bremse zu treten.
Wie eine straffe Hängematte hält der Beckenboden normalerweise die Gebärmutter, die Blase und den Darm in ihrer Position. Wird diese Halterung geschwächt, können diese Organe, die auch miteinander verbunden sind, absinken. Mitunter sinken die Organe so weit ab, dass sich die Scheide durch die Scheidenöffnung stülpt – oder die Gebärmutter aus der Scheide austritt. Das führt dann neben dem störenden Fremdkörpergefühl zu starken Schmerzen, Problemen beim Wasserlassen und kann zu Infektionen führen. Häufige Ursachen sind erblich bedingte Bindegewebsschwäche, vaginale Geburten, schwere körperliche Arbeit und Übergewicht.
Schon länger plagen Heike Stockmann Senkungsbeschwerden. Mit ihrer zierlichen Statur hat sie zwei stattliche Kinder auf natürlichem Wege geboren, mit einem Geburtsgewicht von rund 4600 und 3900 Gramm. Beckenbodentraining stand fest auf ihren Sportplan – das half und ermöglichte ihr, ein aktives Leben zu führen. Zumindest bis zum Tag des Umzugs. Zunächst verspürte sie nur ein ungewohntes Ziehen im Unterleib, doch schon bald kamen Schmerzen dazu. Diese Schmerzen wurden immer stärker. Sie suchte ihre Frauenärztin auf und ließ sich beraten. Der Befund lautete: Deszensus uteri, zu Deutsch: Gebärmuttersenkung, im fortgeschrittenen Stadium 2.
„Weiter so leben war für mich ein No-Go!“
Ihre Frauenärztin empfahl ihr zunächst einen sogenannten „Pessar“ zur Behandlung der Beschwerden. Dieses Hilfsmittel besteht meistens aus Kunststoff und hat die Form eines Würfels, einer Schale oder eines Rings. Es wird in die Scheide eingeführt, um das Scheidengewölbe zu spannen und damit die Gebärmutter abzustützen. Für viele Frauen ist das keine Option. Pessare müssen regelmäßig gewechselt werden, verursachen ein Fremdkörpergefühl und mitunter Druckschmerz. Nicht zuletzt kann es zu einem übelriechenden Ausfluss kommen.
Auch für Heike Stockmann war schnell klar: das darf kein Dauerzustand sein. Zu belastend war der Zustand, für Körper, Seele und Partnerschaft. „Weiter so leben war für mich ein No-Go! Das Problem musste aus der Welt, ich wollte wieder aktiv leben und reinen Tisch machen. Diese Senkungsbeschwerden beeinflussen einfach das ganze Leben.“ Gesagt, getan. Einer Empfehlung folgend machte sie einen Termin im DGD-Krankenhaus Sachsenhausen. Schließlich eilt Prof. Amadeus Hornemann der Ruf voraus, zu den weltweit innovativsten Spezialisten für Gynäkologie und Laparoskopie zu gehören.
„Auf Dauer werden die Netze verschwinden“
Zeitsprung: Heike Stockmann sitzt im Büro von Prof. Amadeus Hornemann. Vor ihnen auf dem Tisch steht das bunte 3D-Modell einer Gebärmutter. Warum er keine Kunststoffnetze mehr verwendet, möchte sie wissen. Das sei doch schließlich der Standard in Deutschland, auch ihre Frauenärztin hatte ihr dazu geraten. „Früher galt es als optimal, eine Gebärmuttersenkung mit einem Kunststoffnetz zu beheben. Das kann im Rahmen eines minimal-invasiven Eingriffs gemacht werden“, erklärt ihr Prof. Hornemann, seinem Wesen entsprechend sehr ruhig und empathisch. In der Tat werden in Deutschland jährlich mehr als 20.000 Operationen in der Deszensuschirurgie durchgeführt, bisher überwiegend mit Kunststoffnetzen – und in aller Regel sind die Operationen auch erfolgreich. „Allerdings liegt es auf der Hand: ein solches Netz bleibt immer ein Fremdkörper.“
Was denn über die Risiken der Kunststoffnetze bekannt sei, fragt Heike Stockmann. „Auch wenn es selten ist: Mitunter führt ein solches Kunststoffnetz zu Unverträglichkeiten – in einigen Fällen mit schwerwiegenden Komplikationen, von Schmerzen über Blutungen und Infektionen bis zum Einwachsen in benachbarte Organe. In solchen Fällen muss das Netz operativ entfernt werden“, warnt der Experte. Und: Da sich der Körper mit dem Netz vereint und Gewebe durch das Netz durchwächst, lässt es sich schon kurze Zeit später nicht wieder vollständig entfernen. Daher wurden die Netze in einigen Ländern bereits verboten. So hat in den USA die zuständige Zulassungsbehörde den Vertrieb von Kunststoffnetzen zur transvaginalen Behandlung von Organsenkungsbeschwerden im Jahr 2019 untersagt. Einige Hersteller von Kunststoffnetzen haben es inzwischen mit hohen Schadensersatzforderungen zu tun. Mehr als 100.000 Frauen haben Klage eingereicht, da sie unter anderem mit chronischen Schmerzen, Infektionen oder Blutungen zu kämpfen haben. „Auf Dauer werden diese Netze daher ganz sicher verschwinden“, ist Hornemann überzeugt.
Kniekehle statt Kunststoff
Vor diesem Hintergrund entwickelte Prof. Amadeus Hornemann sein neues Verfahren: „Aus gynäkologischer Sicht ist es ein klarer Vorteil, bei der Fixierung der Gebärmutter statt eines Kunststoffnetzes eine Sehne zu verwenden. Mein neuer Ansatz kombiniert lediglich zwei etablierte Methoden: Die Sehnenentnahme aus der Kniekehle und Verfahren, um den Beckenboden anzuheben.“
So weit, so nachvollziehbar. Doch wie läuft die OP genau ab, möchte Heike Stockmann wissen. „Zunächst werden alle relevanten Bereiche desinfiziert und steril abgedeckt. Dann nehme ich eine Bauchspiegelung vor, also einen Eingriff durch das sogenannte Schlüsselloch, in der die Implantation der Sehne in den Bauchraum vorbereitet wird. In diesem Zuge stelle ich sicher, dass die Technik tatsächlich angewendet werden kann. Erst wenn ich sicher weiß, dass es funktionieren wird, beginne ich mit der Entnahme der Sehne.“
Nun wird in der gewählten Kniekehle ein horizontaler Hautschnitt über der meist tastbaren Sehne gesetzt, der rund drei Zentimeter groß ist. „Die Entnahme der Sehne dauert keine zehn Minuten. Die Haut wird dann mit ein oder zwei Einzelknopfnähten verschlossen. Jetzt wird die Sehne in den Bauchraum eingebracht. Dort befestige ich die Sehne an den zu fixierenden Strukturen, im Prinzip genauso, wie ich es früher mit einem Kunststoffnetz gemacht habe. Transplantation und Fixierung beanspruchen etwa vierzig Minuten. In aller Regel sind weitere Schritte notwendig, daher plane ich immer mit einer Gesamtzeit von etwa zwei Stunden.“
Heike Stockmann hat aufmerksam zugehört und Vertrauen gefasst. Als sportlicher Mensch möchte sie natürlich wissen, wie lange sie sich nach der OP schonen muss. „Die Genesung geht schnell vonstatten, die Entlassung ist meistens am zweiten oder dritten Tag nach der Operation möglich“, erklärt Prof. Hornemann. „Mit Sport, zum Beispiel Joggen, können Sie dann nach etwa sechs Wochen wieder starten. „Übrigens entferne ich meistens nur die halbe Breite der Sehne. Daher gibt es kaum funktionelle Einschränkungen durch die Entnahme. Binnen zwei Jahren regeneriert sich die Sehne dann vollständig.“ Bislang waren alle Patientinnen sehr zufrieden und gaben an, dass sie das Verfahren anderen betroffenen Frauen uneingeschränkt empfehlen.
Zurück im Leben
Prof. Amadeus Hornemann sollte recht behalten. Heike Stockmanns Entscheidung für die OP fiel noch im Beratungsgespräch. Im November fand die OP statt und schon zwei Tage später konnte sie entlassen werden. Nach sechs Wochen fühlte sich Heike Stockmann wieder komplett hergestellt und kann seither ihr aktives Leben wieder in vollen Zügen genießen. So zufrieden ist sie, dass sie gerne anderen betroffenen Frauen zu diesem neuen Verfahren raten möchte: „Ich fühle mich wieder so wie früher, habe keine Schmerzen, auch nicht in der Kniekehle. Das ist eine ganz andere Lebensqualität.“ Für andere Frauen mit Senkungsbeschwerden hat sie eine klare Botschaft: „Haben Sie Mut und informieren Sie sich darüber, was mittlerweile möglich ist. Weder muss `Frau´ heute noch mit einem Würfel noch mit einem Kunststoffnetz herumlaufen. Das geht auch auf natürliche Art und Weise.“
DGD-Krankenhaus Sachsenhausen
Das DGD-Krankenhaus Sachsenhausen ist eine Einrichtung der Grund- und Regelversorgung mit 211 Betten. Sie ist zertifiziertes Kompetenzzentrum für Adipositaschirurgie, zertifizierte „5 Sterne-Behandlungseinrichtung“ für Menschen mit Diabetes (BVKD) und hat außerdem Schwerpunkte im Bereich der Interventionellen Radiologie, der minimal-invasiven gynäkologischen Chirurgie und der Gastroenterologie. In der Abteilung für Geburtshilfe kommen rund 1500 Babys pro Jahr auf die Welt. Die Kardiologie mit einer zertifizierten Chest-Pain-Unit sowie einer Herzkatheteranlage runden das Behandlungsspektrum ab. Zum Krankenhaus zählen auch das MVZ Sachsenhausen, das MVZ Radiologie Sachsenhausen, die MEDIPARG GmbH sowie die im Pflegebereich tätige Füreinanderdasein GmbH. Die Klinik ist nach DIN ISO 9001:2015 zertifiziert.
Die DGD-Kliniken sind ein Verbund diakonischer Einrichtungen des Gesundheitswesens. Dazu zählen in Deutschland Krankenhäuser, Rehakliniken, Medizinische Versorgungszentren (MVZ), Senioreneinrichtungen und zwei Pflegeschulen. Insgesamt arbeiten mehr als 2.500 Menschen für die Organisation. Träger ist die DGD-Stiftung mit Sitz in Marburg. Sie gehört zur Diakonie Deutschland und zum Gnadauer Gemeinschaftsverband. „DGD“ steht für „Deutscher Gemeinschafts-Diakonieverband“.